Orte hinterlassen Spuren Orte hinterlassen Spuren | Anthologie
277 Seiten, Festeinband
ISBN: 3-88918-080-9
Herausgeber Literaturbüro Ostwestfalen-Lippe, Detmold


Was macht Herr Honigmann, wenn er den Hut abnimmt? Wo legt er ihn hin? Und wenn er ihn abnimmt? Wird es seiner Frau gefallen, ihn ohne Hut zu sehen? Ich würde Herrn Honigmann ohne seinen Hut kaum erkennen. Ich kenne seinen Hut. Er ist filziggrau. Meliert, dickfilziggraumeliert, wie das Haar, das darunter steckt. Und über der Krempe ist ein Band ohne Farbe. Verwittert. Zerknittert. Die Form des Hutes ist noch gut. Ist abgegriffen, an der linken Seite etwas dünn, aber immer noch in Form. Er spricht zu beiden Seiten. Wie zweisprachig. Mal nach rechts, mal nach links. Spricht Frauen an. Guten Tag, schöne Frau. Oder, junge Frau. Ganz egal, ob sie jung oder schön ist. Er sagt es. Die Frauen freuen sich. Meistens. Sie nicken. Manchmal sagt er es zu einer jungen Frau, manchmal zu einer schönen Frau. Dann sieht man es ihm an. Dann wissen es auch die Frauen. Dann ist er ein Spiegel. Die schönsten Hühner habe er, sagt er. Zeigt auf die Eier. Der Stand ist klein. Zwei Stapel Stiegen, armhoch, daneben ein Platz für den Blechgeldkasten. Bei Regen und im Sommer ein Schirm. Im Herbst und im Winter hat er Äpfel in Kisten unter dem Stand. Aus seinem Grasgarten, sagt er. Zeigt auf die Eier. Nur für die Hühner hab ich den Grasgarten. Unten laufen die Hühner, oben wachsen die Äpfel: Freiherr von Berlepsch. Hält sich bis in den Mai hinein. Da braucht man keine aus Südafrika, sagt er. Flugäpfel, sagt er, sind seine nicht. Seine werden von ihm im Garten gepflückt und liegen den Winter über im Kellerregal. Manchmal zieht er einen Bleistift über dem Ohr unter dem Hut hervor, als zöge er seine Hand aus der Tasche. Dann läuft er ein paar Schritte neben mir. Mit dem Bleistift in der Hand. Spricht. Manchmal höre ich zu. Er kennt mich. Vom Sehen. Wie ich seinen Hut. Später sehe ich den Hut unter den Bäumen laufen. Ich habe ihn gleich erkannt. Ich stehe über ihm und schaue auf ihn herab. Von einem schmalen Weg hinter dem Zaun. Bei meinem Spaziergang bleibe ich immer an dieser Stelle stehen. Oder ein paar Meter davor. Von dort kann ich auf die Stadt schauen. Ich überblicke sie. Bei guter Sicht bis an den Rand, bis zu den Hügelwellen, auf denen die Vororte wie Kleckse liegen. Häufig im Dunst. Dann ist alles verschwunden, und die Stadt hat sich aus dem Staub gemacht. Auf und davon…