Das Bild im Spiegel der Landschaft | Prosatext
104 Seiten, Leineneinband
ISBN: 3-925471-01-6
Herausgeber: Literaturbüro Ostwestfalen-Lippe, Detmold
Das ist ein Abend. Der Abend heißt. Ein Maler ist er. Ein Verschwender von
Farben. Ein Prahler. Der zeigt, dass seine Zeit noch nicht beendet ist. Der
Lust auf Wunder hat. Nenn mir die Farbe. Ich zeige sie dir. Möchtest du Rot?
Ich lass es dir über den Himmel fließen. Du musst nur schauen, dass du nichts
verpasst, denn ich verändere ständig, um dir alle Variationen zu zeigen. Kennst
du die Luftigkeit von Rot vor dem Gletscher der Ferne? Oder die Honiggärten,
die durch orange Haine fließen? Ich drehe die Ventilatoren an. Und die Funkel
der Flammen werden mit der Farbe von Coca Cola gelöscht. Fahr in das Tal.
Halt an. Steig aus dem Auto. Um nach allen Seiten Ausschau zu halten. Lauf
die
Straße hinab. Über das Schlangenband. Was du siehst, gibt es nicht. Es
gibt nur, was du weißt. Was du weißt, sind Zahlen. Sind Buchstaben. Sag die
Zahl. Sag das Wort.
Eins Apfelbaum.
Zwei Häuschen.
Drei Gebüsch.
Vier mehrere Bäume.
Fünf ein Erdbuckel.
Sechs ein gebogenes Feld.
Sieben ein ansteigender Hügel.
Acht ein Gatter.
Neun mehrere Häuser.
Zehn eine Mauer.
Elf eine trutzige Fassade.
Zwölf eine Dorfkirche.
Dreizehn eine Dampfbrauerei.
Vierzehn ein Relikt.
Fünfzehn ein wahres Prachtstück.
Sechzehn ein regelwidriger verwilderter Dialekt.
Siebzehn ein Handwerkszeug.
Achtzehn ein schöner Schein.
Neunzehn schnatternde Gänse.
Hundertfach die Illusion des paradiesischen Gartens mit seiner Flora und Fauna
in Farbe, Duft, Laut, Beschaffenheit und Geschmack. Tausendfache Klangmalerei
von Rolle und Maske und Ritual und Zeremonie und Etikette und Theater und
Vorstellung und Verstellung. Niemals ich, sondern du. Du im Ich verborgen.
Im Spiegel der Landschaft. Im Bild einer Fläche. In einer Bildfläche. Aufgelöst
und ausgelöst durch Dinge und Nichtdinge.